
Gymnastik und Turnen in der Kaiserlichen Armee vor und während des Ersten Weltkrieges
Dieser Beitrag wirft ein Licht auf den Sport, genauer die Gymnastik, in der Kaiserlichen Armee und wie er hauptsächlich vor dem Ersten Weltkrieg bei den Soldaten durchgeführt wurde. Hier könnt ihr die Dienstvorschriften auch herunterladen. Wer sich die Übungen im Bewegtbild anschauen möchte, kann dieses gerne in dem Video hier machen:
Quellen zur Gymnastik
Die Gymnastik fand ihren Niederschlag in verschiedenen Schriftwerken. Da gab es zum einen Handbücher für die (angehenden) Rekruten, wie z.B. “Das Handbuch der Kavallerie” von 1911 oder auch “Drei Jahre im Sattel” aus dem Jahr 1905. Von diesen finden sich eine Vielzahl an Auflagen durch die Jahre und wurden von privat publiziert, wobei die Autoren jedoch langjährige Offiziere der Armee waren.
Zusätzlich gab es offizielle Dokumente der Armee für das Turnen und die körperliche Ertüchtigung, wie Dienstvorschriften, die den Titel “Turnvorschrift für die Infanterie“ oder auch “Turnvorschrift für die Kavallerie” trugen. Diese entwickelten sich über die Zeit weiter und wurden in der Regel den neuen Erkenntnissen sowie Ideologien angepasst. Wenn sich also Unterschiede zwischen den verschiedenen Auflagen finden lassen, so blieben die Kernideen und Ideale dieselben. Gerade zwischen der Jahrhundertwende und dem Ausbruch des Krieges war die Entwicklung der Waffen, Taktiken und Uniformen stürmisch, sodass es zwangsläufig zu diversen Änderungen kommen musste. Im Krieg selber gab es nochmal eine weitaus stärkere Transformation, auf die hier noch nicht eingegangen wird, zukünftig aber in weiteren Blogbeiträgen thematisiert werden soll. Das Buch “Reiterdienst” aus dem Jahr 1910 zeigt beispielsweise die Konflikte zwischen den Traditionen und den Erfordernissen der modernen Kriegsführung. Viele Übungen der Infanterie und Kavallerie ähnelten sich, jedoch gab es bei der Kavallerie noch pferdebezogene Spezialübungen.
Die Dienstvorschriften und Reglements waren insgesamt von großer Wichtigkeit, da diese nicht nur das Training sowie Verhalten der Soldaten regelten, sondern auch den Inhalt von abstrakten Gesetzen und Gerichtsentscheidungen in anwendbare Regeln gossen. Dabei ist das keine deutsche oder preußische Besonderheit oder gar Tradition, sondern ganz einfach erforderliche Werkzeuge, um so eine große und komplexe Organisation wie eine Armee oder auch Behörde zu regulieren. So finden sich diese Art der Vorschriften auch in weiteren Armeen und Staaten.
Zusätzlich zu den offiziellen Vorschriften gab es viele Privatpersonen mit Verbindungen zur Armee, häufig viele (ehemalige) Offiziere, die ihr eigenes Material veröffentlichten. Dieses war häufig ein Zusatz zu den Regularien, wobei hier viele Sachen nochmal prägnant dargestellt wurden. Häufig wurde dieses zusätzliche Material von der Armee sowie den entsprechenden Behörden unterstützt. Dabei wurden die Handbücher nicht nur in der Armee genutzt, sondern auch im privaten Bereich. Oft waren diese Handbücher Geschenke von der Familie an junge Rekruten, um diesen einen ersten Einblick in die kommende Wehrpflicht zu geben.
Nun zurück zum Inhalt der Bücher: Was waren die Ziele dieser Vorschriften und wie sah deren Anwendung in der Praxis aus?
Die offensichtlichsten Ziele der Gymnastik waren die Fitness der Soldaten zusammen mit dem Erlernen der Disziplin (vgl. hierzu genauer: Nicolas Schillinger: Chinesisch-preußische Körperschmiede – Die deutsche Militärgymnastik und ihre Adaption im Qing-Reich um die Jahrhundertwende, in: Body Politics 8 (2020), Heft 12, S. 187–213, bes. S. 189-198.) Turnen war ein wichtiger Bestandteil des Grundtrainings, um Kraft und Ausdauer aufzubauen. Dabei war es die Pflicht des Offiziers, die Rekruten fit zu bekommen und zu halten. Trainiert wurde auf dem Kasernenhof, in den Baracken oder auch in der Turnhalle, so sie denn vorhanden war.
Nun gehen wir näher auf die Turnvorschrift der Kavallerie von 1912 ein, wobei Kapitelweise vorgegangen wird, damit wir einen Eindruck dieser spezifischen Vorschrift bekommen. Auch werden hier einige Turnübungen beschrieben, damit diese einfach nachzumachen sind.
Die Struktur der Dienstvorschrift und Gymnastikübungen
Das erste Kapitel beginnt mit generellen Bemerkungen, wie warum genau das Training der Gymnastik durchgeführt wurde. Als Gründe wurden genannt: Erhöhung der “Kraft, Gelenkigkeit, Körperbeherrschung und gute Haltung, Mut, Selbstvertrauen und Opferwilligkeit” (vgl. Turnvorschrift für die berittenen Truppen vom 17. Oktober 1912, S.1). Dabei sollte den Mannschaften “Lust und Liebe zur Sache” beigebracht werden sowie ein “gesunder Ehrgeiz hervorgerufen werden” (ebd.). Somit sollte der Offizier wissen, was er macht, also sollte “zu diesem Zwecke […] bei der Militärturnastalt die Ausbildung jüngerer, besonders veranlagter Offiziere [erfolgen], deren Verwendung als Lehrer bei den Truppenteilen während mehrere Jahre wahrscheinlich ist.” (Turnvorschrift für die berittenen Truppen vom 17. Oktober 1912, S.1-2)
Insgesamt wurde es empfohlen, die Gymnastik-Einheiten regelmäßig stattfinden zu lassen, sowohl für die Unteroffiziere wie auch für die Vorturner. Organisiert werden sollten diese von den rangoberen Offizieren. In der Winterzeit sollte es für die Leutnants und Oberleutnants mehr Lektionen im Turnen wie im Fechten geben.
Unteroffiziere wie Vorturner sollten ein Beispiel sein. Daher war es ihnen erlaubt, bei Trainingseinheiten von kompetenten Vereinen des Deutschen Turner-Bundes (DTB) teilzunehmen. Bei den Übungen sollte darauf geachtet werden, dass diese abwechslungsreich, interessant und bei gutem Verhalten der Soldaten ohne harten Drill sein sollten. Insgesamt sollten die Übungen den gesamten Körper einbeziehen und graduell schwieriger werden.
Turnübungen wurden während der gesamten Dienstzeit abgehalten, während besondere Spiele gut für die Beweglichkeit durchgeführt wurden. Laufen dagegen wurde als gut für die Lungen angesehen. Um einfach anzufangen, begannen die Rekruten in der zweiten Turnklasse. Sobald sie ihre Fähigkeiten verbessert hatten und sie alle Anforderungen erfüllten, wurden die Rekruten in die zweite Klasse des Turnens versetzt.
Immer wieder sollten entweder Wettkämpfe abgehalten werden oder die Offiziere bei den Spielen zugegen sein, um einen förderlichen Effekt auf die Entwicklung zu haben. Nach Dienstschluss war es erlaubt einige Turnübungen zu machen, doch wurde es zur Pflicht, wenn der aufsichtsführende Offizier eine Zeit festgelegt hatte und der Vorgesetzte zugegen war. Jeder der krank war, sollte zum Doktor gesendet werden und eventuell von einigen Übungen befreit werden.
Jeder Anzug konnte zum Turnen getragen werden, vom Drillichanzug hin zur Tuchuniform. Zwischenzeitlich war angedacht, die Litewken als Turnjacke einzuführen, wurden aber durch den Drillich obsolet. Wenn die normale Tuchuniform zum Turnen getragen wurde, war es erlaubt, die Haken am Kragen sowie die unteren drei Knöpfe zu öffnen.
Nach den Bestimmungen wurden im zweiten Kapitel die Freiübungen behandelt. Diese konnten mit und ohne Kommandos durchgeführt werden. Zusätzlich handelte es sich bei diesen Übungen um Aufwärmübungen. So waren dies die Grundlage für alle weiterführenden Turnübungen.
Turnübungen
Armstrecken:
Kommando: Arme vorwärts (aufwärts, seitwärts) – Streckt!
Arme abwärts – Streckt!
Dabei werden die Oberarme an den Oberkörper angelegt und die Unterarme befinden sich angewinkelt an diesen, so dass die Hände die Schulter berühren. Dabei sind die Muskeln des Oberarms stark angespannt. Auf Kommando werden die Arme schnell stoßartig in die angegebene Richtung bewegt, ohne dass sich dabei der Oberkörper bewegt. Dabei sollen die Arme schulterbreit bleiben, außer bei der Seitwärtsbewegung.
Rumpfbeugen:
Kommando: Rumpf vorwärts (rückwärts) beugt! – Streckt!
Hier sollten erst der Kopf und dann der Oberkörper mit losen Hals- und Rückenwirbeln langsam so weit gebeugt werden, dass es ohne Lockerung der durchgedrückten Kniee möglich ist. Eine regelmäßige Atmung in der Beugehaltung sollte den Blutandrang zum Kopf verhindern. Beim Strecken dagegen wird zunächst der Rumpf und dann der Kopf langsam aufgerichtet.
Kniebeugen und Strecken:
Kommando: Knie – beugt! – Streckt!
Das Ziel bei dieser Übung war langsam die Knie bis in einen rechten Winkel zu beugen und stetig die Fersen bei dieser Bewegung anzuhaben. In die Ausgangsposition ging es zurück durch gleichmäßiges strecken der Knie und senken der Fersen.
Die Spiele
Nachdem wir uns nun die Gymnastik angeschaut haben, die teilweise aktuellen Übungen entsprechen, werfen wir nun einen Blick auf die Spiele.
Eins der Spiele war der Staffellauf, wobei die Entfernungen un Personen Zahl variieren konnte. Dabei wurde ein Stock als Staffelstab verwendet, der jeweils übergeben werden musste. Auch Fangen findet sich unter den Spielen, das mit etwa 10-15 Mann pro Seite gespielt werden konnte. Tauziehen war ein weiteres Spiel, das übrigens von 1900-1920 olympisch war.
Das wohl bekannteste Spiel von diesen war Fußball. Dieses sollte während des Krieges hinter den Linien sehr populär werden und die Gymnastik langsam ablösen. Die Gründe dafür werden in einem extra Beitrag ergründet werden. Doch hier liegt der Ursprung für die noch heute so große Popularität des Fußballs in Deutschland.
Der letzte Teil
Im letzten Teil der Vorschrift finden sich Übungen für Telegraphisten. Bei diesen kam es darauf an, sie sicher, geräuschlos und schnell durchzuführen. Dabei ging es vor allem darum Hindernisse aller Art sowie Geländeschwierigkeiten zu überwinden. Schwerpunktmäßig waren dabei:
- A Gleichgewichtsübungen
- B Steigen und Klettern
Auf diese Übungen gehen wir ein anderes Mal detaillierter ein.
Fazit
Zusammenfassend ist festzustellen, dass viele der Übungen recht modern anmuten und auch heute noch so durchgeführt werden. Vermutlich anders in der Intensität und natürlich auch mit anderer Bekleidung, aber dennoch genauso. Interessant sind auch die Spiele, wie das Fangen und besonders das Fußballspielen. Während des Krieges gab es eine Verschiebung vom Turnen und der Gymnastik hin zum Fußball als vorgezogener Sport, doch damit setzen wir uns in einem anderen Beitrag auseinander.
Die Vorschriften waren sehr wichtig und werden uns noch in vielen weiteren Beiträgen begegnen, da diese Anleitungen für Lehrinhalte, Vorgehen, Planungen usw waren, um das Heer vernünftig organisieren zu können.
Quellen
von Bernhardi: Reiterdienst. Kritische Betrachtungen über Kriegstätigkeit, Taktik, Ausbildung und Organisation der Kavallerie, Berlin 1910.
Turnvorschrift für die berittenen Truppen vom 17. Oktober 1912, Berlin 1912.
Turnvorschrift für die Infanterie vom 28. Oktober 1895, Berlin 1895.
Eisenhart-Rothe/Schauwecker: So war die alte Armee, Berlin 1935.
Michael Krüger und Florian Wittmann, Turnen und Sport im Kaiserreich: Aufbruch in die Moderne? Stadion, Bd. 46, 2/2022, S. 224–258, DOI: 10.5771/0172-4029-2022-2-224
Nicolas Schillinger: Chinesisch-preußische Körperschmiede – Die deutsche Militärgymnastik und ihre Adaption im Qing-Reich um die Jahrhundertwende, in: Body Politics 8 (2020), Heft 12, S. 187–213.
Auf den Seiten des DTB gibt es einen kurzen Artikel zum Turnen im Kaiserreich:
https://www.dtb.de/der-verband/wir-ueber-uns/geschichte/turnen-zur-zeit-der-reichsgruendung-und-in-der-kaiserzeit
Ein etwas älterer Artikel zum Turnen im Kaiserreich:
https://www.bpb.de/shop/zeitschriften/apuz/archiv/531307/jugend-und-militaer-zur-sozialgeschichte-militaerischer-erziehungsinstitutionen-in-deutschland/


Ein Kommentar
Pingback: