
Die Wiedereroberung von Riga 1917 – Ein Propagandafilm?
In diesem Beitrag werfen wir einen Blick auf den Film „Riga genommen“ ein „Militärisch-amtlicher Film des Bild- und Film-Amtes“. Zu finden ist dieser auf dem europäischen Filmportal, ein digitaler Zusammenschluss mehrerer europäischer Museen und Archive. Aufgenommen wurde dieser Film Ende des Jahres 1917, nachdem Riga erneut von der Kaiserlichen Armee eingenommen wurde. Wir betrachten den Film, um zu sehen wie groß der dokumentarische und der propagandistische Anteil jeweils sind. Gerade der propagandistische Teil ist an dieser Stelle interessant, da sich das Medium Bewegtbild bzw. Film zu diesem Zeitpunkt gerade erst herausbildet. Dadurch muss erst noch eine allgemeine gültige Form der Propaganda in diesem Medium gefunden sowie etabliert werden. Auch bauen viele unserer zeitgenössischen Dokumentationen auf solch ein Archivmaterial auf. Also können wir unseren Bildspeicher auffüllen und zukünftig besser feststellen, wie nahe die jeweiligen Dokumentationen dem entsprechenden Original ist.
Bevor es mit dem Artikel losgeht, sei auf das Video (englischsprachig) verwiesen, in dem die Abschnitte des Films direkt eingeordnet werden:
Der Aufbau des Films
Insgesamt setzt sich der Film aus verschiedenen Teilen zusammen, die im Groben durch Tafeln getrennt werden. Da es sich hier um einen Stummfilm handelt, beschreiben diese Einschübe die unterschiedlichen Situationen. Dieses Zeitdokument lässt sich zunächst wie folgt grob aufteilen:
- Riga genommen
- Ankunft der Truppen in Riga
- Der Kaiser in Riga
- Stadtaufnahmen
- Erbeutete Stücke
Diese Abschnitte sind jeweils noch etwas feiner unterteilt, was jeweils die eingeschobenen Tafeln verdeutlichen und beschreiben. Was diese einzelnen Teile beinhalten und was das bedeutet, werden wir jetzt in den weiteren Abschnitten näher untersuchen sowie in den Kontext einordnen.
Riga genommen
Auf dem ersten Panel des Films ist zu lesen: Riga genommen. Also der Titel des Werks, darunter findet sich die Beschreibung: Militärisch-amtlicher Film des Bild- und Film-Amtes. Darauf folgt die nächste Tafel: Am 1. September 1917 überquerten deutsche Truppen nach Bekämpfung des Feindes die Düna bei Uexküll.
Das erste, was wir sehen, sind von Pferden gezogene Kutschen, wie sie über eine Pontonbrücke fahren. Es ist davon auszugehen, dass sich in diesen Kutschen der Nachschub befindet, insbesondere mit Lebensmitteln und Munition. Darauf folgen die Filmaufnahmen von der anderen Seite des Flusses. Hier vorne können wir einige spanische Reiter als Befestigungen sowie Schützengräben sehen. Ganz Rechts ist noch eine Stange zu sehen, die vermutlich für den Funk gedacht war. Die Tafel: Der erbitterte feindliche Widerstand konnte die tapferen deutschen Truppen nicht aufhalten kündigt Aufnahmen der Schlachten an. Im Mittelpunkt stehen hier die toten Russen, die auf dem Boden herumliegen. Hier ist ein klarer erster propagandistischer Touch, auffällig ist besonders, dass hier lediglich die Leichen des Feindes gezeigt werden, nicht die der deutschen Soldaten. Darauf folgt: Der Feind zog sich in wilder Flucht zurück, scharf verfolgt von unseren tapferen Truppen. Nach dieser Tafel eröffnet sich ein ziemlich chaotisches Feld, auf dem einiges an russischen Ausrüstungsstücken zu finden ist: Feldküchen, Kutschen, Papier und allerlei an kleinerem Gerät. Vereinzelt bewegen sich deutsche Soldaten durch dieses Feld und schauen sich um. Währenddessen ändert sich die Einstellung bzw. der Winkel der Kamera. Weiter kommt ein totes Pferd ins Bild. Danach wird weiter ausgiebig das zurückgelassene Gerät der Russen gezeigt, durch das sich die deutschen Soldaten bewegen. Hier ist also ein weiteres propagandistisches Element, dass sich vor allem auf die Toten und das zurückgelassene Gerät konzentriert, während die deutschen Soldaten ungehindert ohne Schaden durch das Schlachtfeld marschieren.
Es folgt ein weiterer Szenenwechsel: Die von den Russen in die Luft gesprengte Verkehrsbrücke bei Riga. Das ist exakt das, was in diesem Film jetzt gezeigt wird, eine gesprengte Eisenbahnbrücke. Dieses Vorgehen, also das Zerstören der Infrastruktur, ist im Krieg durchaus üblich, um den Vormarsch des Feindes zu behindern und möglichst zu verlangsamen. Als Gegenstück zu diesen Aufnahmen folgt eine wieder von den Pionieren wiederinstandgesetzte Fußgängerbrücke.
Ankunft der Truppen in Riga
Danach folgt die nächste Beschreibung der Szenerie: Berittene Truppen und Fahrzeuge werden auf sofort eingerichteten Prahmen über die Düna geschleppt. Auf dem Boot selbst sind nicht nur Fahrzeuge, sondern auch Pferde und Kavalleristen zu sehen. Es folgt eine Aufnahme des Panoramas von Riga, vermutlich um zum Einen die Szenerie aufzulockern und zum Anderen zu zeigen, wofür die Soldaten gekämpft haben. Ebenso wird das Schloß gezeigt und weitere Sehenswürdigkeiten der Stadt. Als nächstes ist eine Brennende Holzbrücke zu sehen. Was es aber genau damit auf sich hat, wird nicht näher geklärt.
Nun folgen die zwei interessantesten Aufnahmen, zumindest für uns: Ausladung von Truppen in Riga sowie Abmarsch einer Schwadron Ulanen. Hier ist also eine Kavallerieeinheit in voller Bewaffnung zu sehen. Offensichtlich führte die Kavallerie 1917 immer noch die Lanze ins Feld, auch wenn ein Großteil der Gefechte mit dem Gewehr angegangen wurde. Auch können wir in diesem Abschnitt sehen, wie eine Feldküche abgeladen wird. Um zurück zu den Ulanen zu kommen, sehen wir jeden mit einem Stahlhelm ausgerüstet, neben dem Gasmaskenbehälter. Schauen wir uns die Uniformen genauer an, können wir erkennen, dass uns eine Mischung aus den Ulankas und der Feldbluse begegnet. Dementsprechend wurden also alte und neue Uniformen nebeneinander getragen, auch Großuniformstücke. Insgesamt scheint die Uniformierung also nicht so Uniform gewesen zu sein, wie wir es heute kennen.
Auf diese Aufnahmen folgen nun zerstörte Magazine am Hafen. Es schließen sich Szenen einer lebendigen Stadt am Marktplatz an, der voll mit Menschen ist. Nun heißt es auf der Tafel: Von den Russen sinnlos zerstörte und teilweise geplünderte Geschäfte. Allein diese Aussage hat schon einen propagandistischen Touch. Nun, wir sehen einige zerstörte Geschäfte, vielleicht teilweise geplündert. Aber ob es wirklich die Russen waren und die Fenster nur wegen der Artilleriegranaten dort zerbrochen sind, ist schwer zu sagen. Auch wie genau und was geplündert wurde und ob es tatsächlich die Russen waren und nicht etwa Einwohner, muss an dieser Stelle fraglich bleiben.
Ein Konzert im Schützenpark wird als nächstes gezeigt. Neben einer Militärkapelle, die gerade spielt, sehen wir viele Soldaten, die sich beim Konzert amüsieren. Viele von ihnen schauen direkt in die Kamera. Es scheint, als ob sie nicht wirklich an Kameras gewöhnt sind. Bei genauerer Betrachtung scheinen einige von ihnen zu einer Garde zu gehören, was an dem weißen Stück am Kragen zu erkennen ist.
Der Kaiser in Riga
Dieser Teil wird mit der Tafel eingeleitet: Ankunft Seiner Majestät des Kaisers in Riga. Auch Kaiser Wilhelm II wurde mittels einer Prahme übergesetzt. Im Gegensatz zu den Truppentransporten war die Prahme geschmückt und mit Zweigen dekoriert. Sehr wahrscheinlich, um seinen Rang und seine Wichtigkeit hervorzuheben, im Gegensatz zu den gemeinen Truppen. Natürlich wurde der Kaiser entsprechend von seinem Stab begleitet. Es folgt die Begrüßung durch Exzellenz Generalleutnant von Hutier. Dabei gehen der Kaiser und sein Stab von Bord der Prahme und werden durch von Hutler begrüßt. Auffällig ist nicht nur die persönliche Standarte des Kaisers, sondern die traditionelleren Uniformen der Gruppe. Innerhalb des Stabes wurde weiterhin die Pickelhaube getragen, im Gegensatz zu dem Stahlhelm der Truppen und im Fall des Standartenträgers sowie Trompeters sogar noch eine blaue Uniform.
Es folgen Aufnahmen von S. M. im Gespräch mit dem Oberbefehlshaber Ost Prinz Leopold von Bayern. Diese ermöglichen einen weitere Blick auf den Kaiser und sein Gefolge. Natürlich hatte der Kaiser und seine Präsenz eine große (moralische) Wirkung auf seine Truppen, wodurch hier ein kleineres propagandistisches Element zu vermuten ist. Offiziell war Seine Majestät das Oberhaupt der Armee sowie des Landes, verkörperte alle Hoffnungen und war für viele ein großer Grund in den Krieg zu ziehen. Seine Präsenz konnte durchaus eine sehr euphorische Wirkung haben.
Der nächste Abschnitt wird durch die Tafel Die begeisterte Volksmenge in Erwartung S. M. eingeleitet. Zu sehen ist eine Straße voller lachender, freudig wartender Menschen, was die Wirkung des Kaisers auf das Volk und damit auch auf die Truppen unterstreicht. Dementsprechend wird im Anschluss an diese Szene die Besichtigung der Truppen auf der Esplanade gezeigt. Der Kaiser schritt mit seinem Stab die Truppen zur Inspektion ab, was sicherlich zur Erhöhung der Moral der Soldaten geführt haben muss. Nach der Inspektion folgte eine Parade der Truppen, um sich selbst zu präsentieren. Nicht nur der Kaiser nahm diese Parade ab, sondern auch weitere Militärs sowie (jubelnde) Zivilisten. Hier gibt es also ein weiteres Argument zur propagandistischen Wirkung des Besuches, besonders auf die Truppen. Inwiefern diese Aufnahmen jedoch für die breite Öffentlichkeit zugänglich waren, kann an dieser Stelle noch nicht geklärt werden.
Danach werden weitere Aufnahmen des Kaisers gezeigt, bevor er zur Front gefahren wird: Besuch S. M. im Schwarzhaupterhaus und Abfahrt zur Front. Das Haus der Schwarzköpfe war und ist ein ikonisches Gebäude, das im 2. Weltkrieg von den Deutschen und später noch mehr von den Sowjets zerstört und 1993-1999 wieder aufgebaut wurde. Womit er im Grunde also eine Sehenswürdigkeit besichtigte. Interessant sind hier die Autos, die kein Dach hatten, sondern offen waren und den kaiserlichen Adler an ihrer Seite haben. Wir sehen sie nur stehen, aber nirgendwo fahren. Ob es der Kaiser wirklich bis an die Front geschafft hat oder ob das nur eine Behauptung war, wissen wir also nicht genau.
Stadtaufnahmen
Es folgen Aufnahmen der Stadt, beginnend mit einem Dankgottesdienst. Das ist ein Teil des Ersten Weltkriegs, der eigentlich völlig vergessen ist. Die Gottesdienste und der Klerus während des Krieges, der eine große Rolle spielte, aber nirgends oder nur sehr selten erwähnt wird. Das ist im Übrigen ein großer Punkt der zeitgenössischen Kritik an den späteren Kriegsromanen in den späten 1920er Jahren und anderen Medien, die sich nicht einmal die Mühe machen, die Priester und Pastoren zu erwähnen, die die Truppen auf ihre Weise unterstützten. Das ist etwas, mit dem wir uns unbedingt einmal näher beschäftigen müssen, denn Glaube und Religion spielten in dieser Zeit eine sehr große Rolle. Zu sehen sind zumindest viele Leute, die gerade den Dom verlassen.
Auf dem Alexander-Boulevard, der nächsten Szene, wird eine Straße gezeigt, auf der sich viele Kutschen und mittelgroße Minenwerfer wie Artilleriegeschütze, die von Pferden gezogen werden, befinden. Möglicherweise sind sie auf dem Weg an die Front. Auch hier bekommen wir einen kleinen Eindruck von den schieren Massen. Dies war jedoch nur ein kurzer Einschub. Darauf folgt eine Aufnahme, die Das deutsche Theater, zumindest von Außen von der Sicht eines Parks, zeigen. Zu sehen sind ein paar weitere Soldaten, die an der Kamera vorbeigehen.
Als nächstes begegnet uns die Meldung russischer Wehrpflichtige, die alle vor der Meldestelle warten. Die Frage ist nur, warum? Werden sie inhaftiert oder für die Deutschen angeworben? Müssen sie Arbeit verrichten? Oder handelt es sich schlicht um eine normale Meldung, um einen verwaltungstechnischen Überblick zu haben? Schwer zu sagen aus diesem kurzen Stück. Es wird nur angedeutet, dass die Deutschen einen großen Erfolg bei der Suche nach ihnen hatten. Auch sonst gibt es dazu keine weiteren Informationen, was mit diesen geschah oder ob es lediglich eine Registrierung war.
Erbeutete Stücke
Eingeleitet wird das letzte Stück des Films mit der Tafel: Russisches Theater. Auch hier wird wieder ein Theater von der Außenperspektive gezeigt, jedoch fährt eine deutsche Kutsche durch das Bild. Auch wird diese Einstellung nur sehr kurz gezeigt. Der nächste Abschnitt beginnt mit dem Zeigen verschiedener erbeuteter russischer Fahnen, bevor die Aufnahmen eine Menge eroberter russischer Waffen wie Gewehre, Maschinengewehre, Artilleriegeschütze aller Art, Minenwerfer, Fahrzeuge, Munitionswagen sowie unzählige Ausrüstungsstücke, die alle von deutschen Truppen inspiziert und kontrolliert werden. Und so heißt es auch auf der letzten Tafel:
Siegesbeute! Dieselbe beträgt: 325 Geschütze, davon ein Drittel schwere sowie viele Maschinengewehre und Minenwerfer. Außerdem fielen mehrere beladene Voll- und Kleinbahnzüge, großes Pioniergerät, Schießbedarf und Verpflegungsvorräte, zahlreiche Kraftfahrzeuge und andere Truppenfahrzeuge in unsere Hände.
Also wird der Film mit einer klar als propagandistischen Szene abgeschlossen, die durchaus mittels des Bildmaterials zu beeindrucken weiß.
Fazit zum Film
Zusammengefasst, was haben wir in dem Film gesehen? Es begann mit Versorgungstruppen, die den Fluss überquerten, es folgten einige tote Russen in einer eroberten Stellung, ein chaotisches Feld nach einem Rückzug oder anders gesagt, das, was nach der Schlacht übrig geblieben war. Dann folgen die Truppen, insbesondere die Kavallerie, die den Fluss überquert und die Prahme verlässt. Hier und da ein paar Aufnahmen der Stadt, unterbrochen von der Darstellung einiger Zerstörungen, die angeblich von den russischen Truppen vorgenommen wurden. Im Gegensatz dazu einige deutsche Truppen, die ihre Freizeit genießen. Dann folgen einige Aufnahmen, in denen der deutsche Kaiser die Truppen inspiziert und im Anschluss an die Front fährt. Am Ende nach kurzen Eindrücken von Theatern, einigen Russen und Kriegsbeute, die aus allerlei Waffen und Material für die Fronten bestand.
Es sind demnach propagandistische Elemente in diesem Film auszumachen, jedoch ist dieser keinesfalls durch und durch propagandistisch, sondern wirkt dahingehend in Strecken eher subtiler, von den offensichtlichen Teilen einmal abgesehen. Es ging hauptsächlich um die Tapferkeit der Soldaten, dass ihre Opfer vom deutschen Volk, verkörpert durch den Kaiser, hoch geschätzt werden. Außerdem war es die Aufgabe der Dokumentation zu zeigen, dass die Soldaten eine gute Zeit haben, sich nach den Kämpfen amüsieren und die Regierung alles im Griff hat.
Der interessanteste Teil war für mich das Stück über die Kavallerie, der Abmarsch einer Schwadron Ulanen. Dort konnten wir die Anwesenheit von Lanzen noch im Jahr 1917 beobachten. Dann andere Teile ihrer Ausrüstung und wie sie getragen wurde, was besonders für meine Rekonstruktion eines Husaren ein Glücksfall ist.
Insgesamt haben wir es hier mit einem Stück zu tun, das die Heimatfront stabilisieren soll. Das geschieht, indem gezeigt wird, dass die Kämpfe gewonnen werden, Fortschritte an der Front gemacht werden und die Soldaten versorgt werden, sogar vom Kaiser selbst.Nichtsdestotrotz ist dies ein hochinteressanter und aufschlussreicher Film. Nur ist hier fraglich, wie zugänglich diese Aufnahmen überhaupt der breiten Bevölkerung waren, bzw. wie weit verbreitet Kinos bzw. Lichtspielhäuser zu dieser Zeit überhaupt waren. Dem wäre weiter nach zu gehen, um überhaupt die tatsächlich mögliche Wirkung abschätzen zu können.

